REDAKTIONELLE LEITSÄTZE
- Bei der Bemessung des notwendigen Schuldnerunterhalts nach § 850d Abs. 1 S. 2 ZPO ist ein mietfreies Wohnen als vermögenswerter Vorteil zu berücksichtigen.
- Der Besserstellungszuschlag für Erwerbstätige beträgt 25 % des sozialhilferechtlichen Regelbedarfs.
LG Halle, Beschluss vom 07.08.2020, Az. 1 T 137/20
TENOR
Auf die sofortige Beschwerde der Gläubigerin vom 03.06.2020 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Merseburg vom 27.03.2020 — 15 a M 212/20 — wird der angefochtene Beschluss im Hinblick auf den dort festgesetzten pfandfreien Betrag von 940,00 EUR abgeändert und insoweit wie folgt neu gefasst:
Von dem pfändbaren Teil des Arbeitseinkommens des Schuldners ist ihm ein monatlicher Betrag von 540,00 EUR zu belassen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Schuldner.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
GRÜNDE
I. Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin vom 15.08.2019 ist gemäß §§ 793, 567 ZPO i.V.m. § 11 Abs. 1 RPFIG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist sie fristgerecht eingelegt worden.
Die sofortige Beschwerde erweist sich unter Berücksichtigung des Vorbringens beider
Parteien im Beschwerdeverfahren als begründet.
Die Gläubigerin vollstreckt vorliegend wegen rückständiger Unterhaltsansprüche, so dass sich die Bestimmung des pfandfreien Betrags nach § 850d ZPO richtet.
Nach dieser Vorschrift ist bei einer Unterhaltspfändung das Arbeitseinkommen des Schuldners grundsätzlich ohne Beschränkungen pfändbar. Jedoch ist dem Schuldner nach § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO so viel zu belassen, als er für seinen notwendigen Unterhalt und zur Erfüllung seiner laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten gegenüber dem Gläubiger bevorrechtigten Unterhaltsschuldnern und zur gleichmäßigen Befriedigung gleichberechtigter Unterhaltsschuldner benötigt. Der notwendige Unterhalt hat sich dabei grundsätzlich an der individuellen Bedarfssituation des Schuldners zu orientieren.
Für die Bemessung des notwendigen Unterhalts ist zunächst der sozialhilferechtliche Regelbedarf des Schuldners zu Grunde zu legen (vgl. Zöller/Stöber, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 850d Rn. 7; Becker in Münchener Kommentar zur ZPO, 15. Aufl. 2018, § 850d Rn. 6). Dem Schuldner soll im Anwendungsbereich des § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO — ebenso wie bei § 850f Abs. 2 Halbs. 2 ZPO — dasjenige belassen werden, das er zur Deckung des sozialhilferechtlichen Existenzminimums im Sinne des SGB XII benötigt; die dort für die Anrechnung von Einkommen und geldwerten Vorteilen maßgebenden Grundsätze sind auch bei der Ermittlung des ihm pfandfrei zu belassenden Betrags zu berücksichtigen. Dem Schuldner soll nach der Rechtsprechung des BGH nicht weniger, aber auch nicht mehr belassen werden, als er zur Deckung des sozialhilferechtlichen Existenzminimums im Sinne des SGB XII bedarf (vgl. BGH NJW-RR 2011, 706), weshalb die dort für die Anrechnung von Einkommen und geldwerten Vorteilen maßgebenden Grundsätze auch bei der Ermittlung des dem Schuldner pfandfrei zu belassenden Betrags zu berücksichtigen sind. Ist nämlich der notwendige Bedarf des Schuldners und damit sein sozialhilferechtliches Existenzminimum durch andere Einnahmen und geldwerte Vorteile gedeckt, dann besteht die Gefahr des Absinkens des Schuldners unter die Schwelle der Sozialhilfebedürftigkeit durch eine Pfändung seines Arbeitseinkommens und damit eine Befriedigung der Gläubiger zu Lasten des Sozialstaats wegen des aus § 2 Abs. 1 SGB XII folgenden Grundsatzes des Nachrangs der Sozialhilfe nicht. Nach diesem Grundsatz, der in §§ 19 Abs. 1, 27 Abs. 1 und 2 SGB XII für die Hilfe zum Lebensunterhalt konkretisiert wird, ist Sozialhilfe nur demjenigen zu leisten, der seinen Bedarf nicht aus eigenen Mitteln und Kräften bestreiten kann. Ist hinreichendes Einkommen oder Vermögen zur Deckung des maßgeblichen Bedarfs vorhanden, entfällt die Hilfebedürftigkeit und damit der Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt (vgl. BGH NJW 2013, 1370).
Nach dieser Rechtsprechung des BGH hat das Vollstreckungsgericht daher zu prüfen, ob der notwendige Bedarf des Schuldners ganz oder teilweise durch weitere Einnahmen oder geldwerte Vorteile tatsächlich gedeckt ist. Im Umfang der anderweitigen Deckung ist der Freibetrag, der dem Schuldner aus seinem gepfändeten Arbeitseinkommen zu belassen ist, herabzusetzen (vgl. BGH NJW 2013, 1370).
Nach der zutreffenden Berechnung der Gläubigerin im Antrag vom 28.02.2020, der das Beschwerdegericht inhaltlich folgt, ergibt sich unter Zugrundelegung des sozialhilferechtlichen Regelsatzes für den Schuldner von 432,00 € und dem Besserstellungszuschlag von 108,00 € (25 % des Regelbedarfs) sowie dem Umstand, dass der Schuldner keinem weiteren Kind oder Ehegatten Unterhalt schuldet, der berechnete Betrag von 540,00 €. Das mietfreie Wohnen ist als vermögenswerter Vorteil zu berücksichtigen.
Dem Schuldner ist mit gerichtlicher Verfügung vom 17.07.2020 Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 04.08.2020 gegeben worden, worauf er nicht reagiert hat.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 574 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.