REDAKTIONELLER LEITSATZ
Wenn nicht feststeht, ob der Unterhaltsberechtigte Unterhalt gemäß § 7 Abs. 3 S. 2 UVG verlangt oder der Schuldner Unterhaltszahlungen tatsächlich leistet, kann die Unterhaltsvorschusskasse Ansprüche des Schuldners gegen den Drittschuldner zunächst ohne Berücksichtigung dieses Unterhaltsberechtigten pfänden und sich zur Einziehung überweisen lassen (Anschluss an BGH, Beschluss vom 17.09.2014, Az. VII ZB 21/13, openJur 2014, 21898).
LG Leipzig, Beschluss vom 28.09.2018, Az. 2 T 623/18
TENOR
1. Auf die sofortige Beschwerde des Gläubigers wird der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts — Vollstreckungsgericht — Grimma vom 24.07.2018, Az.: 1 M 1330/18, unter Aufrechterhaltung im Übrigen teilweise abgeändert und der dem Schuldner pfändungsfrei zu überlassende Betrag auf monatlich 854,00 € festgesetzt.
2. Der Antrag auf einstweilige Anordnung wird zurückgewiesen.
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Schuldner auferlegt.
GRÜNDE
I. Der Gläubiger betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung wegen einer Forderung in Höhe von 931,00€. In der Zeit vom 01.03.2013 bis zum 30.09.2013 hat der Gläubiger für ein unterhaltsberechtigtes Kind des Schuldners nach dem Unterhaltsvorschussgesetz Unterhaltsbeträge in Höhe von 931,00 € geleistet.
Der Gläubiger, dem nicht bekannt ist, ob der Schuldner seinen Unterhaltsverpflichtungen nachkommt, hat unter dem 04.07.2018 den Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses beantragt, mit dem Ansprüche des Schuldners gegenüber der Drittschuldnerin gepfändet und dem Gläubiger zur Einziehung überwiesen werden sollten, ohne die Unterhaltsansprüche des Kindes zu berücksichtigen.
Das Amtsgericht — Vollstreckungsgericht — Grimma hat in dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 24.07.2018 den dem Schuldner pfändungsfrei zu belassenden Betrag unter Berücksichtigung seiner notwendigen Lebenshaltungskosten in Höhe von 854,00 € sowie wegen gegenüber dem Kind bestehender Unterhaltsverpflichtungen in Höhe von 302,00 € auf insgesamt 1.156,00 € festgesetzt. Dieser Beschluss wurde dem Gläubiger am 30.08.2018 bekannt.
Mit Schreiben vom 05.09.2018, welches am 10.09.2018 beim Landgericht Leipzig einging, legte der Gläubiger sofortige Beschwerde ein und macht geltend, dass nicht feststehe, dass der Schuldner seinen Unterhaltsverpflichtungen gegenüber einem Kind nachkomme.
II. Die gemäß § 793 ZPO statthafte sofortige Beschwerde ist zulässig; insbesondere in der 2‑Wochen-Frist des § 569 ZPO beim Landgericht Leipzig eingelegt worden. Der Einholung einer Nicht-/Abhilfeentscheidung durch das Amtsgericht bedurfte es nicht, da der Gläubiger mit der Einlegung des Rechtsmittels beim Landgericht Leipzig deutlich gemacht hat, dass er auf eine solche Entscheidung verzichte. In der Sache ist das Rechtsmittel begründet. Die Kammer folgt der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Beschluss vom 17.09.2014 — Aktenzeichen: VII ZB 21/13, BGHZ 202, 293 bis 302).
Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts ist die privilegierte Pfändung nach § 850d ZPO nicht davon abhängig, dass der Gläubiger im Vollstreckungsverfahren das Fehlen der nach §7 Abs. 3 Satz 2 UNG vorrangig zu berücksichtigenden Unterhaltsansprüche darlegt und gegebenenfalls nachweist. Der Gläubiger ist nicht gehalten, solche Voraussetzungen für die Pfändung nach § 850d Abs. 1 Satz 1 ZPO vorzutragen, die ihm nicht bekannt sind und die er auch nicht ohne weiteres kennen muss. Denn das würde sein Recht, im Wege der Zwangsvollstreckung auf das Vermögen des Schuldners zuzugreifen, von vornherein in unangemessener Weise beschränken. Der Vollstreckungserfolg des Gläubigers, der auf ihn übergegangenen rückständigen Unterhaltsforderung vollstreckt, wäre darüber hinaus möglicherweise gefährdet, wenn der Gläubiger zur Erfüllung einer ihm obliegenden Darlegung, dass der Unterhaltsberechtigte Unterhalt nicht verlangt, vorab Auskünfte bei dem Unterhaltsberechtigten oder dem Unterhaltsverpflichteten einholen müsste. Es ist nach den allgemeinen prozessualen Grundsätzen der Darlegungs- und Beweislast, die auch im Zwangsvollstreckungsverfahren Anwendung finden, grundsätzlich Sache des Schuldners oder der durch das Gesetz Begünstigten, solche Einwendungen vorzubringen, die die Pfändung beschränken oder unzulässig machen. Das gilt auch für den Einwand, die Zwangsvollstreckung benachteilige Unterhaltsberechtigte, die Unterhalt vom Schuldner im Sinne des § 7 Abs. 3 Satz 2 UVG verlangten. Sind die diesen Einwand begründenden Tatsachen dem Vollstreckungsgericht bekannt, muss es sie von Amts wegen berücksichtigen. Zu weiteren Nachforschungen ist es dagegen nicht verpflichtet. Eine Klärung der Frage, ob der Unterhaltsberechtigte Unterhalt gegenüber dem Unterhaltsverpflichteten im Sinne des § 7 Abs. 3 Satz 2 UVG verlangt, ist im Verfahren über die Vollstreckung der gemäß § 7 Abs. 3 Såtz 2 UVG nachrangigen Unterhaltsansprüche zudem regelmäßig dadurch erschwert, dass der Unterhaltsberechtigte im Vollstreckungsverfahren nicht beteiligt und der Schuldner nach § 834 ZPO grundsätzlich vor der Pfändung nicht zu hören ist (vgl. BGH, a.a.O.). Insofern gilt, wenn nicht feststeht, ob der Unterhaltsberechtigte Unterhalt gemäß § 7 Abs. 3 Satz 2 UVG verlangt, und ob der Schuldner Unterhaltszahlungen tatsächlich leistet, dass die Unterhaltsvorschusskasse Ansprüche des Schuldners gegen den Drittschuldner auch wegen des zur Erfüllung der Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem vorrangigen Unterhaltsberechtigten erforderlichen Betrags wegen der bestehenden rückständigen Unterhaltsforderung zunächst pfänden und sich zur Einziehung überweisen lassen kann. Die durch § 7 Abs. 3 Satz 2 UVG geschützten Interessen des vorrangigen Unterhaltsberechtigten, der am Vollstreckungsverfahren nicht beteiligt ist, werden hinreichend dadurch gewahrt, dass er, wenn er den Unterhalt für einen späteren Zeitraum gegenüber dem Schuldner verlangt, in dem ihm kein Unterhaltsvorschuss gezahlt worden ist, den sich zugunsten seiner Forderungen aus § 7 Abs. 3 Satz 2 UVG ergebenden Vorrang bis zur Beendigung der Zwangsvollstreckung mit der Vollstreckungserinnerung nach § 766 Abs. 1 ZPO gegenüber dem vollstreckenden Gläubiger geltend machen kann. Der in § 7 Abs. 3 Satz 2 UVG zu Gunsten des Unterhaltsanspruchs des unmittelbar Unterhaltsberechtigten angeordnete Vorrang betrifft die Art und Weise der Zwangsvollstreckung. Die vom Inhaber des übergegangenen Unterhaltsanspruchs betriebene Zwangsvollstreckung ist auf eine Erinnerung des Unterhaltsberechtigten zu beschränken oder aufzuheben, soweit hierdurch dessen Vorrang beeinträchtigt wird. Ebenso kann der Schuldner, der seiner Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem nach § 7 Abs. 3 Satz 2 UVG vorrangigen Unterhaltsberechtigten ganz oder teilweise nachkommt, mit der Vollstreckungserinnerung gemäß § 766 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit §§ 775 Nr. 4, 5 ZPO unter Vorlage entsprechender Zahlungsnachweise erreichen, dass die Zwangsvollstreckung der Unterhaltskasse insoweit beschränkt oder aufgehoben wird. Die Vollstreckung der Unterhaltskasse wegen rückständigen Unterhalts darf im Ergebnis auch dann nicht zum Nachteil des gemäß § 7 Abs. 3 Satz 2 UVG vorrangig unterhaltsberechtigten Kindes führen, wenn dieses den Vorrang im Zwangsvollstreckungsverfahren nicht durch Einlegung eines Rechtsmittels geltend gemacht hat. Hat sich die Unterhaltskasse wegen der auf sie übergegangenen Unterhaltsforderung unter Verletzung des sich aus § 7 Abs. 3 Satz 2 UVG ergebenden Vorrangs des unmittelbar Unterhaltsberechtigten aus dem Vermögen des Schuldners befriedigt, steht dem Unterhaltsberechtigten nach Beendigung der von der Unterhaltskasse betriebenen Zwangsvollstreckung ein Bereicherungsanspruch gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. BGB auf Auskehrung des Erlöses in Höhe der bestehenden Unterhaltsforderung gegen die pfändende Unterhaltskasse zu (vgl. BGH a.a.O.).
Einer einstweiligen Anordnung bedurfte es im Hinblick darauf, dass der angefochtene Pfändungs- und Überweisungsbeschluss antragsgemäß im Sinne des Gläubigers abgeändert wurde, nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.