REDAKTIONELLE LEITSÄTZE
- Der Besserstellungszuschlag für Erwerbstätige beträgt regelmäßig 25 % des sozialhilferechtlichen Regelbedarfs und darf dem Schuldner nur für die Monate zukommen, in denen er die mit der Erwerbstätigkeit verbundenen Aufwendungen zu tragen hat.
- Die tatsächlich anfallenden Kosten der Unterkunft sind insoweit zu berücksichtigen, als sie der Höhe nach nicht unangemessen sind und dem Schuldner eine Verringerung des Aufwandes durch einen Wohnungswechsel oder auf andere Weise nicht zumutbar ist.
LG Kassel, Beschluss vom 05.10.2020, Az. 3 T 361/20
TENOR
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Kassel vom 20.07.2020 wird zurückgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
GRÜNDE
1. Der Gläubiger betreibt die Zwangsvollstreckung wegen Unterhaltsrückständen aus dem am 08.02.2008 verkündeten Urteil des Amtsgerichts Kassel […] i.V.m. der Rechtsnachfolgeklausel vom 17.01.2020. Wegen einer Forderung von 3.045 € erwirkte er den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts vom 29.04.2020, der sich unter anderem auf die angeblichen Ansprüche des Schuldners gegen die eingangs bezeichnete Drittschuldnerin, bei der der Beschwerdeführer ein Bankkonto (Pfändungsschutzkonto) unterhält, erstreckt.
Mit Schreiben vom 27.05.2020 (BI. 6 d.A.) erhob der Gläubiger Erinnerung gegen den vorgenannten Pfändungs- und Überweisungsbeschluss mit dem Antrag, den dem Beschwerdeführer monatlich pfändungsfrei zu verbleibenden Betrag gemäß § 850k III i.V.m. 850d ZPO auf 740 € festzusetzen.
Dagegen wandte sich der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 08.06.2020 mit der Begründung, dass er mit einem Betrag von 740 € seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten könne. Er sei lediglich in den Sommermonaten berufstätig und beziehe für die restlichen Monate des Jahres jährlich wechselnd ALG I bzw. Il und zwar jeweils weniger als 740 €. Deshalb müsse er von den in den Sommermonaten erzielten Einkünften Rücklagen bilden. Darüber hinaus habe er noch Verbindlichkeiten i.H.v. 800 € gegenüber einer Krankenkasse, die er tilgen müsse, um wieder krankenversichert zu sein. Sollten ihm auch in den Monaten, in denen er Einkünfte habe, lediglich 740 € verbleiben, müsse er „in das große Heer der Sozialhilfeempfänger“ wechseln.
Daraufhin hat das Amtsgericht durch Beschluss vom 20.07.2020, auf den Bezug genommen wird (BI. 19 ff. d.A.) den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 29.04.2020 abgeändert und den dem Beschwerdeführer monatlich pfändungsfrei zu verbleibenden Betrag auf 740 € festgesetzt.
Gegen die Entscheidung wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner am 03.08.2020 bei dem Amtsgericht eingegangenen Beschwerde (BI. 23 f d.A.), mit der er unter Wiederholung seines bisherigen Vorbringens sein Begehren weiterverfolgt.
Das Amtsgericht hat dem Rechtsmittel am 04.08.2020 (BI. 25 d.A.) nicht abgeholfen und die Verfahrensakten der Kammer zur Entscheidung vorgelegt.
Mit Schreiben vom 20.08.2020 (BI. 29 f d.A.) hat der Beschwerdeführer sein Rechtsmittel ergänzend begründet und dem Gläubiger vergleichsweise den Vorschlag unterbreitet, dass er den Betrag, der über monatliche Einkünfte i.H.v. 1.000 € hinausgehe, zahlen werde. Eine solche Einigung hat der Gläubiger unter dem 09.09.2020 (BI. 32 d.A.) abgelehnt.
II. Das gemäß §§ 567 I Nr. 1, 793 ZPO statthafte Rechtsmittel wahrt Form und Frist des § 569 ZPO und ist deshalb insgesamt zulässig. In der Sache hat es jedoch keinen Erfolg.
Wegen der Unterhaltsansprüche, die kraft Gesetzes dem Ehegatten oder einem gemeinsamen Kind zustehen, sind das Arbeitseinkommen und ihm gleichgestellte Bezüge ohne die in § 850c ZPO bezeichneten Beschränkungen pfändbar, § 850d I 1 ZPO. Dem Schuldner ist jedoch so viel belassen, wie er für seinen notwendigen Unterhalt und zur Erfüllung seiner laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten gegenüber den dem Gläubiger vorgehenden Berechtigten oder zur gleichmäßigen Befriedigung der dem Gläubiger gleichstehenden Berechtigten benötigt, § 850d 1 2 ZPO.
Diese Regelungen gelten gemäß § 850k III ZPO entsprechend, wenn das auf einem Pfändungsschutzkonto angesammelte Guthaben wegen der in § 850d ZPO bezeichneten Forderungen gepfändet wird.
Die länger als ein Jahr vor dem Antrag auf Erlass des Pfändungsbeschlusses fällig gewordenen (sog. überjährigen) Rückstände sind allerdings in diesem Sinne nur dann bevorrechtigt, wenn nach Lage der Verhältnisse anzunehmen ist, dass sich der Schuldner seiner Zahlungspflicht absichtlich entzogen hat, § 850d I 4 ZPO. Weil Unterhaltsansprüche privilegiert sind, wird angenommen, dass der Schuldner die Darlegungs- und Beweislast dafür trägt, dass er sich seiner Zahlungspflicht nicht absichtlich entzogen hat (Zöller/Herget, ZPO, 33. Auflage, § 850d Rn. 5a m.w.N.).
Mangels gegenteiligen Vorbringens muss deshalb von einer Privilegierung der im vorliegenden Verfahren auch vollstreckten überjährigen Unterhaltsansprüche ausgegangen werden.
1. Nach § 7 UVG ist der Unterhaltsanspruch des am 19.06.2007 geborenen Sohnes des Beschwerdeführers […] gegen den Beschwerdeführer auf den Gläubiger übergegangen und kann mithin von diesem geltend gemacht werden.
2. Ohne Erfolg strebt der Beschwerdeführer die Anhebung des ihm monatlich pfändungsfrei verbleibenden Betrages an. Dass dem Amtsgericht bei der Ermittlung des pfändungsfreien Betrages irgendwelche Fehler unterlaufen sind, ist nicht ersichtlich, und auch die von dem Beschwerdeführer beschriebene, fraglos sehr angespannte wirtschaftliche Situation kann im vorliegenden Zusammenhang nicht zu einer Erhöhung des ihm monatlich pfändungsfrei zu belassenden Betrages führen.
a) Zur Ermittlung des notwendigen Bedarfs im Sinne von § 850d I 2 ZPO ist auf die §§ 28 ff. SGB XII abzustellen. Bei einem Haushaltsvorstand sieht die Regelsatzverordnung in der hier maßgeblichen Fassung ab dem 01.01.2020 einen monatlichen Grundbetrag von 432 € vor.
b) Der so gekennzeichnete Mindestbedarf ist indes nur Ausgangspunkt für die weitere Abwägung, denn der Bundesgerichtshof hat insoweit wiederholt hervorgehoben, dass die von Gesetzes wegen nach billigem Ermessen zu treffende Bestimmung des Vollstreckungsgerichts eine schematisierende Betrachtungsweise verbietet (vgl. BGH Rpfleger 2005, 201; BGH NJW-RR 2005, 1239 (1240)). Deshalb gewährt die Kammer in ständiger Rechtsprechung einen Betrag für die mit der Erwerbstätigkeit verbundenen Arbeitsaufwendungen. Dieser Zuschlag soll einerseits dem Schuldner einen Anreiz bieten, einer Erwerbstätigkeit – die letztlich auch dem Gläubiger zu Gute kommt – nachzugehen und andererseits die mit der Erwerbstätigkeit notwendigerweise verbundenen berufsbedingten Aufwendungen abdecken. Übersteigen diese nicht eine erfahrungsgemäß bei jedem Arbeitnehmer anfallende Höhe, bringt die Kammer hier regelmäßig einen Freibetrag in Höhe 25 % des Regelsatzes in Ansatz. Bei einem Grundfreibetrag von derzeit 432 € errechnet sich mithin ein Zuschlag i.H.v. 108 €.
Gründe, hiervon abzuweichen, bestehen nicht, insbesondere fallen außergewöhnlich hohe Fahrtkosten schon im Hinblick auf die nur kurze Strecke von der Wohnung des Beschwerdeführers zu seiner Arbeitsstelle ersichtlich nicht an.
Allerdings darf dieser Zuschlag darf dem Beschwerdeführer nur für die Monate zukommen, in denen er die mit der Erwerbstätigkeit verbundenen Aufwendungen zu tragen hat. Ob diese Voraussetzungen auch in den Monaten gegeben sind, in denen der Beschwerdeführer seiner Tätigkeit bei […] nicht nachgehen kann, braucht vorliegend nicht entschieden zu werden, denn die Festsetzung des Amtsgerichts ist allein durch den Beschwerdeführer, nicht aber den Gläubiger angefochten, eine Abänderung zu Lasten des Beschwerdeführers scheidet mithin aus.
c) Des Weiteren werden sozialhilferechtlich nach § 29 SGB XII schließlich die tatsächlich anfallenden Kosten der Unterkunft insoweit erstattet, als die fraglichen Aufwendungen der Höhe nach nicht unangemessen sind und dem Sozialhilfeempfänger – im vorliegenden Zusammenhang mithin dem Schuldner – eine Verringerung des Aufwandes durch einen Wohnungswechsel oder auf andere Weise nicht zumutbar ist. Ausgehend davon, dass der Beschwerdeführer seine monatlichen Mietkosten mit 200 € in Ansatz bringt, ist ihm – auch – dieser Betrag monatlich pfändungsfrei zu belassen.
Dies ergibt addiert den von dem Amtsgericht festgesetzten Betrag von monatlich 740 €. Von diesem Betrag gibt nicht einmal der Beschwerdeführer selbst an, dass er damit seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten könnte. Letzteres ergibt sich ohne weiteres daraus, dass der Beschwerdeführer mit seinem Rechtsmittel ausführt, nur in den Sommermonaten Einkünfte oberhalb dieses Betrages zu erzielen und hiervon Rücklagen für die Zeiträume bilden möchte, in denen seine Einkünfte aus ALG unterhalb des Betrages von 740 € monatlich liegen.
3. Mit dem letztgenannten und seinen weiteren Einwänden kann der Beschwerdeführer im vorliegenden Verfahren indes nicht gehört werden.
So muss die Anhebung des monatlich pfändungsfrei verbleibenden Betrages zur Bildung von Rücklagen ausscheiden. In den Monaten, in denen der Beschwerdeführer auf Arbeitslosengeld angewiesen ist und dieses den Betrag von 740 € nicht erreicht, muss der Beschwerdeführer erforderlichenfalls auf die Sozialhilfe verwiesen werden. Anderenfalls würde der sozialhilferechtliche Mindestbedarf nämlich nicht – wie vorgesehen — durch die Solidargemeinschaft gedeckt, sondern wirtschaftlich allein vom Gläubiger getragen; denn der Verzicht des Gläubigers auf pfändbares Einkommen des Schuldners würde dazu führen, dass der Schuldner Rücklagen bildet und deshalb nicht auf Leistungen der Solidargemeinschaft zurückgreift bzw. zurückgreifen muss.
Ohne Erfolg bleibt auch das Vorbringen des Beschwerdeführers, er benötige einen monatlich pfändungsfreien Betrag in Höhe von mehr als 740 €, weil er nur dann in der Lage sei, Rückstände bei seiner Krankenversicherung zu tilgen. Forderungen der Krankenversicherung sind nämlich im Verhältnis zu Unterhaltsforderungen nicht privilegiert, so dass dem Beschwerdeführer durch die Anhebung des pfändungsfreien Betrages nicht die Möglichkeit geschaffen werden kann, seine Verbindlichkeiten bei der Krankenversicherung zurückzuführen.
Nachdem der Gläubiger schließlich der von dem Beschwerdeführer vergleichsweise angebotenen Regelung nicht zugestimmt hat, blieb nur, das Rechtsmittel als unbegründet zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.